Moritas Krankheitslehre

Für Morita bildet die menschliche Begierde nach Leben (Lebenswille) die Grundlage für Entwicklung und Handeln des Menschen. Man könnte hier eine Analogie zu Freuds Libido als sehen oder zum Lebenstrieb bzw. zum Antriebserleben im Sinne von Schultz-Henke. Die Kehrseite dieses Lebenstriebes ist die Furcht vor dem Tode. Beide Begriffe gehören zusammen wie zwei Seiten einer Münze. Voraussetzung für das Entstehen einer Neurose ist am Morita die „hypochondrische Grundstimmung“, worunter er die ständige ängstliche Besorgtheit vor Beeinträchtigungen des eigenen Wohlbefindens versteht, sowohl körperlich als auch seelischer Art. Morita nimmt an, dass bei Menschen mit einem starken Lebenstrieb meist auch die Angst vor der Beeinträchtigung des eigenen Wohlbefindens ausgeprägt ist. Angesichts dieser Voraussetzungen führt irgendein eigentlich normales Phänomen – z. B. eine gewisse Angst, in der Öffentlichkeit zu sprechen – dazu, diese Befangenheit beseitigen zu wollen. Der jeweilige Patient stellt sich dann vor, diese Angst, die seine Unsicherheit und Unzulänglichkeit offenbar mache, dürfe eigentlich nicht sein und dass er sie auch zuerst beseitigen müsse, bevor er in der Öffentlichkeit sprechen könne.

 

Morita nennt dies den „Widerspruch der Gedanken“ (Shiso no mujun). Dieser Widerspruch der Gedanken ist nahezu deckungsgleich mit dem Begriff „Beseitigungswunsch“(hakarai). Die Aufmerksamkeit bleibt am Angsterleben ausgerichtet, was die Bewältigungsversuche wiederum verstärkt und dieses zieht vermehrte Selbstbeobachtung nach sich. Diesen Teufelskreis nennt Morita „psychische Interaktion“: Infolge des Zusammenwirkens von Widerspruch der Gedanken und psychischer Interaktion kommt es schließlich zur vollen Ausbildung und Fixierung der Angstsymptomatik. Dem angedeuteten prospektiven Patienten wäre es nun völlig unmöglich, öffentlich aufzutreten, da seine Prämisse: sein öffentlicher Auftritt dürfen nur angstfrei erfolgen, nicht eingelöst ist.

 

In der Morita-Therapie bedeutet Heilung nicht so sehr die Beseitigung des vordergründigen Symptoms sondern vielmehr das Annehmen seiner selbst, so wie man gerade ist (aru ga mama).

 

In seinem Konzept der Shinkeishitsu-Neurosen unterscheidet Morita drei Arten, deren äußere Erscheinungsbilder unterschiedlich sind; ihre Pathogenese jedoch ist allen gemeinsam.

 

  • Allgemeine Nervosität (Shinkeishitsu) Neurosen zeigen oft körperliche Symptome wie Abgeschlagenheit, Kopfweh, Schlaflosigkeit, Schwächegefühl, gleichzeitig aber auch Konzentrationsstörungen, Unzulänglichkeitsgefühle, welche beide etwa ein Studium erschweren.

 

  • Bei den anfallsweise auftreten Neurosen leiden die Patienten an unterschiedlichen Anfällen wie etwa Herzrasen, Schwindel, Atemnot, Ohnmachtsanfälle oder Schmerzen usw.

 

  • Bei den von Zwängen gekennzeichneten Neurosen handelt es sich in der Morita-Therapie vor allen Dingen um Zwangsvorstellungen wie etwa die Erythrophobie und Grübelzwang. Eine besondere Form von Neurose hat mehr die Form einer Anthropophobie und besteht darin, dass der Patient Angst hat, anderen Menschen die Augen zu sehen. Zwangshandlungen im heutigen Sinn zählte Morita erst später zu dieser Kategorie.

 

Beim nervös Kranken wird ein großer Teil der Lebensenergie in die Bekämpfung und übermäßige Beachtung von Symptomen investiert und diese Energie fehlt dann der natürlichen Entwicklung, solange der Kranke am Kampf gegen seine Beschwerden festhält und darin haften bleibt.